Gedanken einer Landratte (I) (26.7.2012)

Ich sitze im Netz vorne zwischen den beiden Kat-Rümpfen, unter mir nur das glasklare Wasser, und lasse mir den leichten Wind um die Nase strichen. Langsam versinkt die orange-rote Scheibe der Sonne hinter dem Hügel drüben am Strand. Von der Hektik, dem Gewusel dort ist nichts mehr übrig als das rhythmische Rauschen der Brandung. Kann es tatsächlich sein, dass wir erst seit 10 Tagen auf der GALEB sind?
Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.
Es war ein fulminanter Start, von Mallorca weg, und für mich als Landratte nicht ganz ohne. Gleich als ersten Leg die Querung rüber nach Sardinien, doch dank Anti-Seekrankheitskaugummi und –pflaster konnte ich die ersten „seltsamen Bauchgefühle“ schnell wieder bei Seite schieben, und so gegen 01:00 krieche ich aus meiner Koje raus und schaue an Deck. Der Wind nahezu direkt von hinten – Tschuldigung, “raumer Wind“ – schiebt uns mit 8 Knoten durch das Wasser. Der Sternenhimmel ist gigantisch – so klar habe ich das noch nie erlebt! Man kann sich fast nicht satt sehen.
Da, plötzlich fällt der Blister leicht ein, es gibt einen lauten Knall, und es hängen nur noch Fetzen herum und schlägt wie verrückt im Wind… Wolfgang ist im Null-Komma-Nichts auch an Deck, und mit einiger Mühe können wir schließlich dieses wild um sich schlagende Stück Stoff bändigen und verstauen.

Nächster Tag, Flaute. Wir dümpeln mit fast keiner Fahrt so vor uns hin. Wolfgang befestigt am Heck eine lange Leine, mit einem Fender dran, und ab ins Wasser damit. Es ist schon ein ganz besonderes Feeling, mitten auf dem offenen Meer von Bord ins Wasser zu springen…

Kochen. Gerne habe ich die Rolle des Smutjes übernommen. Woran ich mich allerdings immer noch nicht so recht gewöhnt habe, sind die ungeheuerlichen Mengen, die die 3 Youngsters Felix, Florian und Sebastian verdrücken. Ich rechne also nicht mit den 6 Leuten an Bord, sondern koche mengenmäßig für 8-9 Leute . Anders wären auch die 1000gr. Nudeln für eine Mahlzeit nicht zu rechtfertigen…

Seemännische Fachbegriffe. Ich bin ja lernwillig, und an allem interessiert. Wir haben gerade aus einer Bucht abgelegt, der Wind bläst recht schön, und wir pflügen mit guten 6 Knoten durchs Wasser. Wolfgang meint zu Felix „Mach mal den Großbaum mit einem Bullenstander fest..:“
Hä???
Und ich als Landratte, und ohne das rechte Gefühl, wo’s kritisch sein könnte, stelle mich so geschickt neben den Niederhalter des Großbaums, dass der mir einen gehörigen Stoß versetz, als durch eine Böe kurzzeitig die Windrichtung variiert…Mein Fall wird gebremst von der Reling, über die ich schon ganz schön weit drüberhänge, Felix hat noch ein Bein erwischt und hält mich dran fest, und die restliche Fallenergie bremst meine Lippe ab… auf der Außenseite die Deckskante, auf der Innenseite meine Zahnreihe… die sich sehr, sehr deutlich in der Lippe abzeichnet! Jetzt weiß ich also, wie sich’s anfühlt, fast über Bord gegangen zu sein, und was es heißt, eine dicke Lippe zu riskieren.
Übrigens, den Knoten für den Bullenstander kann ich noch nicht machen… Aber vom Üben hab‘ ich erst mal genug!

(Klaus)

Dieser Beitrag wurde unter Berichte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

1 Antwort zu Gedanken einer Landratte (I) (26.7.2012)

  1. Alex sagt:

    Hallo Ihr Segler,
    tolle Berichte, die Ihr uns Daheimgebliebenen hinterlasst. Beneidenswerte Stimmung. Und passend dazu das Mantra für den heutigen Tag: „Der Wind wäre ideal um den Blister zu setzen…“ 🙂
    Liebe Grüße
    Alex

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert